Martina Schumacher - Frozen Beauty

Der Berg ruft. Eisbedeckte, kühle Gipfel forderten seit jeher tollkühne Bergsteiger à la Louis Trenker heraus, lockten Filmemacher und Naturkinder an, Panoramafotografen, Polarforscher und Alpinisten. Speziell der Eisberg ist aber auch zum Mythos geworden durch eines der schwersten Unglücke der Seefahrtsgeschichte: Der legendären Titanic wurde er am 14. April 1912 zum tragischen Verhängnis.

„Frozen Beauty“ nennt Martina Schumacher ihre Gipfelkette in den gigantischen Maßen 5,10 x 3,60 Metern, die vor dem Hintergrund des blendend-blauen Himmels elegant glitzert. Gemalt ohne Pinsel, zusammengesetzt aus 27.000 Pailletten, jede einzeln aufgefädelt und mit einem hauchdünnen Nagel so fixiert, dass sie frei über der lackierten Holzplatte schweben. Unterstützt durch zwei fast beiläufig im Raum abgestellte Ventilatoren, entsteht der Eindruck einer flimmernden Bildoberfläche. Beim Betrachter stellen sich Assoziationen ein zu TV- und Computerbildern. Ist man mit dem Bild allein, dann hört man kein mediales Rauschen, sondern nur das sachte Klackern der Pailletten.

Martina Schumacher, die als Meisterschülerin an der Berliner Universität der Künste bei Georg Baselitz studiert hat, bricht mit der herkömmlichen Maltradition, indem sie den klassischen Umgang mit Farbe und Pinsel überwindet, sich einerseits des Computers als technisches Hilfsmittel bedient - ein Programm zur Aufrasterung ihrer Motive wurde extra entwickelt - und andererseits auf eine präzise, mühevolle Handarbeit zurückgreift. In endlosen Sitzungen werden die Pailletten Stück für Stück von ihr aufgebracht, gleich einer Stickerei oder einer Teppichknüpferei.

Martina Schumacher sieht sich als „getreue Freundin der Schönheit“, sie liebäugelt mit der Ästhetik des Motivs, der Umsetzung als Pailletten-Pixelbild und der Perfektion seiner Herstellung. Das Motiv „Frozen Beauty“ hat sie in den Medien gefunden. Der Antarktis Berg wurde am Computer aufgepixelt und in seine Einzelteile zerlegt. „Frozen Beauty“ reiht sich ein in eine ganze Serie von Pailletten-Arbeiten: Porträts von Freunden, ein überdimensionierter Baum, Bilder vom Universum und vor allem das „Bernsteinzimmer“, eine gigantische Wiedergabe der verschollenen Kostbarkeit. Scheinbar vertraute Motive werden bei Martina Schumacher unter Verweis auf mediale Bildschemata vollkommen neu codiert. Man benötigt räumliche Distanz, um als Betrachter diese fragmentarisierten Bilder im Kopf wieder zusammenzusetzen. Von der romantisierenden Naturbetrachtung eines Caspar David Friedrich zur mediengeschulten Naturwiedergabe Martina Schumachers ist es zwar ein weiter Weg. Dennoch eint beide die Erbauung am Schönen, Erhabenen und die langsame, fast entbehrungsreiche Annäherung an das Motiv mit der Farb- bzw. Paillettenpalette.

Herman Melville philosophiert in seinem Roman über den Albino-Wal „Moby-Dick“ über das Ungreifbare der Farbe Weiß: „Oder ist es so, daß das Weiß seinem Wesen nach nicht so sehr eine Farbe ist als vielmehr die Summe aller Farben, daß deshalb eine weite Schneelandschaft dem Auge eine so öde Leere bietet, die doch voller Bedeutung ist - eine farblose Allfarbe der Gottlosigkeit, vor der wir zurückschrecken?“ Martina Schumacher verwendet für ihren antarktischen Eisberg vorwiegend weiße, silberne und hellblaue Pailletten, um den Eindruck eines Schneefarbtons zu erzeugen. Keine langweilige Öde, keine Farblosigkeit, sondern eine fassbare Kühle, eine gelungene Übertragung der Naturschönheit in ein perfektes Paillettenbild.

Zudem präsentiert Martina Schumacher noch ein Perlen besetztes Flugzeug. „Pearl Plane“ verbindet Technik mit schmückendem Ornament, die Eleganz des nostalgischen Himmelsgleiters mit der Kostbarkeit der Perle als Symbol des Luxus und der Vollkommenheit. Die Elemente Stillstand und Bewegung, Schönheit und Vergänglichkeit sind bei Martina Schumacher einmal mehr exakt ausbalanciert.


Nicole Büsing & Heiko Klaas